Keine Steuerflucht

Dirk Heißerer erkundet Thomas Manns Feldafinger Sommerhaus "Villino"

"Mausloch mit Grammophon" oder auch "Villino" nannte Thomas Mann das Sommerhaus am Starnberger See, dem die Nachwelt unter anderem den berühmten "Zauberberg"-Abschnitt "Fülle des Wohllauts" zu verdanken hat. Der Literaturwissenschaftler Dirk Heißerer hat die kleine Villa in Feldafing 1994 bei einem seiner literarischen Spaziergänge durch Zufall entdeckt und in den folgenden Jahren in eine literarische Gedenkstätte umgewandelt. Manns Aufenthalte in Feldafing, seinen Briefwechsel mit dem Besitzer des Hauses, dem Kunsthändler Georg Martin Richter, sowie das weitere Schicksal des Villino hat Heißerer nun in einem Buch dokumentiert.

Tonio-Kröger-Einsamkeit

In diesem Schicksal verbinden sich Hochkultur und Zeitgeschichte Deutschlands: Richter erwarb das 1912 als Spekulationsobjekt erbaute Haus im Jahr 1919, also in der Phase der beginnenden Geldentwertung. Thomas Mann beteiligte sich an diesem Kauf seines Freundes mit 10000 Mark, finanziell gesehen eine Fehlinvestition, weil Richter das Haus aus unerfindlichen Gründen auf dem Höhepunkt der Inflation verkaufte. Von seinen Aufenthalten in Feldafing hat Thomas Mann dennoch profitiert: Sie boten ihm die willkommene Möglichkeit, dem familiären Treiben in München ebenso zu entfliehen wie den politischen Unruhen nach der Ermordung des Ministerpräsidenten Kurt Eisner. Im Villino, zu dem auch ein Garten, ein Wäldchen, eine Laube und eine Bootshütte gehörten, fand er, so heißt es in einem Tagebucheintrag von 1919 - in seine "Tonio-Kröger-Einsamkeit" zurück.

So verfasste er dort nicht nur das französisch geführte Liebesgespräch, das die "Walpurgisnacht" des "Zauberbergs" abschließt, sondern er erhielt auch die entscheidende Anregung für die Schilderung der Grammophon-Abende in diesem Roman: Weil Richter die von Thomas Mann gezahlten 10 000 Mark entgegen den Vereinbarungen bei der Steuer angegeben hatte, war Katia Mann in großen Zorn geraten. Zur Wiedergutmachung schenkte Richter seinem Freund eine Segeljacht und - ein Grammophon für das Villino. Thomas Manns Begeisterung über dieses Geschenk lässt sich an den Beifallsrufen seines Romanhelden Hans Castorp über das Grammophon ablesen: "Halt! Achtung! Epoche! Das kam zu mir."

1938 ging das Villino in den Besitz der NSDAP über, die eine parteieigene Eliteschule darin einrichtete. Von 1945 bis 1951 befand sich auf dem Gelände ein Lager vorwiegend jüdischer Displaced Persons. Später übernahm die Bundeswehr das Gelände. 1999 wurde im vollständig, renovierten ehemaligen Villino, heute Haus Bucheneck genannt, die Dauerausstellung "Der Zauberberg in Feldafing" eingerichtet, die vor kurzem noch um den Nachlass der letzten Sekretärin Thomas Manns, Anita Naef, sowie um ein Archiv mit Materialien über Georg Martin Richter erweitert wurde. Das Haus ist seither das erste literarische Museum auf Militärgelände.

MONA CLERICO

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