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Stötzer,
Gabriele
Das Leben der Mützenlosen
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Sie ist eine unauffällige Staatsbürgerin in einer ostdeutschen Kleinstadt,
die ein Leben in Genügsamkeit führt. Ihre Tage sind sicher eingebettet in den unbedeutenden Alltag. Außergewöhnlich ist nur, daß sie
ein Auto hat.
Sie trifft ihre Freunde regelmäßig in einem Café, sie reden über alles
und nichts, manchmal sogar von ihren Träumen. Sie geht ihrem geduldeten Beruf als Fotograf in nach und hat es sich in ihrem alten Haus
gemütlich gemacht. Sie plaudert über den Tresen der Bäckerei mit ihrer Schwester, mit dem Frisör Takko, der ihr Ersatzteile für ihr Auto
beschafft und manchmal mit der Blumenfrau, die im gemeinsamen Hof ihre Sträuße herrichtet.
Als sie eines Tages von einem Unbekannten angesprochen wird, ob sie eine Fahrt für ihn machen
würde, beginnt sich ihr Leben langsam zu verändern. Sie kann ihre Augen nicht mehr davor verschließen, daß die
Welt in der DDR, in der sie sich sicher gefühlt hat, nur ein Trugbild war.
Sie beginnt Veränderungen an ihren Freunden wahrzunehmen. Sie bemerkt, daß ihre Schwester ein Leben außerhalb der Backstube führt,
von dem sie keine Ahnung hatte. Sie erhält Zugang zu einer geheimnisvollen
Bibliothek. Ein Polizist steht unvermittelt in ihrem Fotolabor. Erst als sie vor der Ladung für ihr Auto steht, begreift sie...
Um ins Leben zurückzukehren, gibt es eine Möglichkeit … die Flucht.
Leseprobe:
Bernd kam als erster auf sie zu und begrüßte sie. Chris
und Sonja stellten Tee und Tassen auf den Tisch und Peter rief den anderen zu, sich zu setzen. Es wurde still, sie
spürte, wie ein leises Gruseln über ihre Haut zog. Aus dem Halbdunkel schob sich nun ein Unbekannter hervor,
der mit lässiger Eleganz gekleidet war. Damit wies er sich ihr sofort als ein ‚anderer’ aus, als einer, der nicht von hier
kam. Sie konnte das Wort, das sie lange nicht erwähnt oder gedacht hatte, kaum aussprechen und wollte es doch
wissen. Sie beugte sich zu Peter. „Ist der von hinter der Grenze?“ Peter nickte und sie bemerkte, daß er selbst auch
ein angespanntes Gesicht hatte. Der Mann setzte sich, begrüßte alle und wendete sich dann an sie.
Er redete sie mit ihrem Namen an. Das erschreckte sie. Sie fröstelte bei dem Gedanken, daß man hier ihren Namen
kannte. Das hatte sie nicht erwartet. Er stellte sich ihr mit seinem Vornamen vor, Olaf. Auch alle anderen gebrauchten
nur ihre Vornamen. Er nannte gleich sein Problem, er brauche ein Auto für eine außergewöhnliche Aktion. Es
müßte ein Auto aus der Gegend mit einem inländischen Kennzeichen sein. Ob sie ihres zur Verfügung stellen
könnte? Sie bekäme Geld dafür oder sonst einen Ausgleich, die Voraussetzung wäre, daß sie niemandem etwas
von ihrer Vereinbarung sagte. Sie zögerte, und er redete weiter, es sei nicht ganz ungefährlich, aber sie wäre ausreichend
abgesichert. Nun sprachen auch andere. Bernd, in dem sie ohne weiteres den von allen anerkannten Leiter
sah, erklärte ihr, was sie zu tun hatte. Sie sollte etwas an einen Ort außerhalb der Stadt transportieren und falls
das erfolgt wäre, könne sie ungefährdet zurückfahren.
„Warum ich?“, fragte sie. „Weil die anderen kein Auto haben.“ Es gab niemanden, mit dem sie sich hätte beraten können,
sie mußte sich jetzt und nur für sich selber entscheiden.
Man wartete auf ihr Ja oder Nein.
Was bleibt
Von Gabriele Stötzer, Thüringer Allgemeine, 26.04.2005
Pressestimmen
zu Gabriele Stötzer in der Ausstellung "re.act.feminism" Akademie
der Künste, Berlin, 08/09
Gabriele Stötzer
(*1953
in Emleben bei Erfurt), MTA; Abendabitur, 1973 Studium an der PH Erfurt
Deutsch/Kunsterziehung, Heirat, jenaer Szene. 1976 Exmatrikulation aus
politischen Gründen, 1977 ein Jahr Gefängnis wegen
"Staatsverleumdung", dann Arbeit in einer Schuhfabrik. 1989
Teilnahme am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, politische Tätigkeit:
Stürmung der Stasi, Bürgerrat, Talkshows. 1989-2000 Lesungen,
Stipendien, Beteiligungen an Symposien im In- und Ausland, Ausstellungen,
mehrere Buchveröffentlichungen, Gedichte, Reden, Zeitungsartikel, Rundfunkbeiträge, Texte in Katalogen, Anthologien
u. a., Bilder, Künstlerbücher.
Lebt in Erfurt und Utrecht/Niederlande.
Veröffentlichungen:
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1989 zügel los.
Prosatexte
(unter dem Namen Kachold) im Aufbau-Verlag - Außer der Reihe (dann Slg.
Luchterhand). |
1992 grenzen los
fremd gehen. Mit Zeichnungen der Autorin
(unter dem Namen Stötzer-Kachold) Janus-Press Berlin 1995. Lese- und Vortragsreise
durch die USA. |
1994 überschwemmung
in Sinn und Form; mikines und raumata in neue deutsche Literatur. |
1995 erfurter
roulette, P. Kirchheim Verlag. |
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2002 Die
bröckelnde Festung, P. Kirchheim Verlag. |
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